(Siegener zeitung vom 23.06.2012) Bruche. Kaum ein Pädagoge im Kreis hat so tiefe Spuren in der Schullandschaft hinterlassen wie Alexander Waschow. Mit 35 trat er seinen Dienst in Bruche an. Jetzt ist er 64 und sagt sich: „Es ist Zeit zu gehen“. Ein ganz großer Pädagoge des Kreises Altenkirchen verlässt die Schulbühne. Ein Portrait.
goeb – Vergiss nie deine eigene Schul- und Lebensbiografie – diesen einen (von drei) Leitgedanken hat sich Alexander Waschow immer wieder vorgelegt. „Wenn es nicht Menschen gegeben hätte, die an mir festgehalten hätten, wäre ich nie dahin gekommen, wo ich bin.“ Er selbst war Internatsschüler. Im Rückblick sieht er dies nicht verklärt und nicht durch die rosarote Brille. In einem ist er sich aber sicher: Sein Sinn für Gemeinschaft hat sich in dieser Zeit entwickelt.
Mit 35 Jahren Schulleiter geworden
Als Alexander Waschow, Abitur 1968, Studium in Landau, seine Stelle als Leiter der Christophorus-Grundschule im Betzdorfer Stadtteil Bruche antrat, war er gerade einmal 35 Jahre alt. Das war im Jahr 1983. Heute ist er 64 und überblickt als Schulleiter einen längeren Zeitraum als alle seine Kollegen im Kreis Altenkirchen. Waschow verlässt nun seine berufliche Wirkungsstätte. Sie dürfte ihn sehr geprägt haben, mit Sicherheit hat er sie geprägt. „Man muss loslassen können“, sagt er im Gespräch mit der Siegener Zeitung auf die Frage nach Zäsuren im Leben. Und er lässt richtig los. Am 2. Juli verlässt er zusammen mit dem Umzugslaster unsere Region. Waschow zieht in die Pfalz, genauer, nach Erfweiler in die Verbandsgemeinde Dahner Felsenland, woher seine Ehefrau stammt.
Erst einmal gar nichts machen
„Was jetzt beginnt, ist auch Lebenszeit, und die ist endlich, nicht unendlich.“ Wer loslassen kann, der kann sich auch einlassen. Und das hat Alexander Waschow in seiner Laufbahn stets unter Beweis gestellt. Ihn erwartet in Erfweiler zwar ein soziales Netz, das er sich über die Jahre aufgebaut hat, gleichwohl will er – nach seinen Plänen „dort unten“ befragt – erst einmal „gar nichts mehr machen“. Und dabei lächelt er.
Die „Christophorus“ war immer schon groß. 1983 habe man 186 Schüler gehabt. „In acht Klassen, mit zwölf Lehrern.“ Heute sind es 256 Grundschüler, und bei der Frage nach dem Personal muss der Schulleiter erst einmal nachdenken, denn die Zeiten, in denen ausschließlich Lehrer in Vollzeit an Schulen arbeiteten, sind lange vorbei. In der Schwerpunktschule (seit 1992) im betreuenden Ganztagsbetrieb (seit 2002) werden auch Kinder mit Beeinträchtigungen beschult, es gibt neben dem klassischen Lehrerberuf Spezialkräfte, Sozialpädagogen und Menschen, die sich ums Essen kümmern, dazu reichlich Personal für Angebote am Nachmittag und Honorarkräfte.
Mehr Unterstützung erwünscht
Und wieder erwartet die Grundschule ein Umbruch. Als Ganztagsschule wird sie im kommenden Schuljahr vollständig verpflichtend für alle Schüler. Damit reduziert sich die Schülerzahl auf 190. „Die wirksamste Form der Ganztagsschule ist die verpflichtende“, ist er überzeugt. Immer noch stoße diese Form auf gesellschaftliche Vorbehalte. Dabei sei das doch die Schule der Zukunft. „Ganztag ist eine Kombination aus Lernen und Leben, aus An- und Entspannung.“ Dafür brauche man aber Zeit und Raum – und ein anständiges Konzept. Den nötigen Spielraum hat man ihm immer gelassen. „Egal, wer in der Verbandsgemeinde Betzdorf am Ruder war, wir sind immer gut unterstützt worden.“ Selbstverständlich sei das nicht, betont er, denn er sei als Schulberater viel in Rheinland-Pfalz unterwegs gewesen. „Da konnte ich immer gut vergleichen.“ Schulfreundlichkeit bescheinigt er auch dem Landkreis. Das Konzept, darauf ist er besonders stolz, hat er sich mit dem Kollegium selbst erarbeitet. „Man könnte so etwas nicht gegen den Willen des Kollegiums machen.“ Das könne man in grundlegenden Dingen durchaus verallgemeinern. „Der Schulleiter ist ausführendes Organ für das, was die Konferenz beschließt.“ Auch die Inklusion (beeinträchtigter Schüler) bedeute eine Herausforderung. „Inklusion ist personalintensiv, aber sie ist für mich eine logische Entwicklung.“ Ginge es nach ihm, es gäbe für alle Schüler acht Jahre gemeinsame Schulzeit; das Festlegen der Schulkarriere nach der 4. Klasse – daraus macht er keinen Hehl – ist ihm zu früh. „Acht Jahre gemeinsame Schulzeit ist in unseren Nachbarländern nicht unüblich.“ Dorthin wird auch in Deutschland die Reise gehen, ist Waschow überzeugt. Verlass dich auf das Bewährte, beziehe neue Dinge ein – mit dieser Maxime ist er gut gefahren, wenn wieder eine Methodenreform ins Haus stand. Man bedenke: „Wenn sich rund um die Schule alles entwickelte und die Schule nicht – das wäre doch seltsam, oder?“, schmunzelt der Schulleiter. Jede Reform, jede Entwicklung müsse jedoch auf den Prüfstein. „Klar muss sein: Sie darf keinem Beteiligten schaden, und das ist auch nicht geschehen.“ In seiner Kindheit (und noch lange danach) stand der Lehrer noch frontal vor der Klasse und hielt weitgehend Monologe. Pädagogisch liegen zwischen den alten Zeiten und heute Quantensprünge. „Jeder Kollege weiß: In einem Jahrgang hat man drei Lernjahrgänge. Wir haben heute eine immer größere Individualisierung des Lernens.“ Das Bild des Lehrers habe sich stark gewandelt. Der Lehrer sei für die Schüler da und nicht umgekehrt. „Ich fühle mich als Lehrender und Erziehender“, umschreibt er, denn der Grundschule falle noch eine hohe erzieherische Aufgabe zu. „Vielleicht bräuchten wir Lehrer da noch mehr Unterstützung“, denkt Waschow laut. Worin die bestehen könnte? In Sozialarbeitern, gewiss, aber auch auf seiten der Elternhäuser. „Die sollten sich noch mehr positiv einmischen“, sagt er salomonisch. Wenn man im Lehrerberuf zufrieden sein will, bilanziert Waschow, dann müsse man den Beruf an sich lieben. „Ein guter Schüler braucht mich fast nicht.“ Natürlich müsse ein Pädagoge auch etwas „verkaufen“, nämlich den Lehrstoff, doch es komme auch auf die sozial-emotionale Erziehung des Kindes im Verbund an. „Das bringt für alle Kinder was.“ Alexander Waschow fallen da seine beiden anderen pädagogischen Leitsätze ein: Fördere Gemeinschaft, vermeide jede ungerechte Behandlung und achte auf Gerechtigkeit. Im Zweifelsfall habe für ihn stets gegolten: „Warum soll man nicht für ein Kind streiten?“ Dass Lehrer heute „von Amts wegen“ die Autorität nicht gepachtet hätten, liege ja auf der Hand. Schlechte Erinnerungen hat er nur an solche Menschen, die ohne Rücksicht auf ihre Kinder etwas durchsetzen, was denen schadet. Dann steigt er zur Not auch in den Ring. Es mutet seltsam an, dass es mit der sog. „Schnitzel-Affäre“ gegen Ende seiner Pädagogen-Laufbahn an seiner Schule (die SZ berichtete) zur härtesten Nagelprobe kam. In der Sache blieb er standhaft, emotional nahm es ihn doch sehr mit, sagt er in der Nachbetrachtung, und ein fader Nachgeschmack blieb vor allem von der vereinfachenden und teilweise falschen Berichterstattung der Boulevard-Medien. „Die nehmen ganz bewusst in Kauf, dass Menschen diffamiert werden. Leider übernehmen viele deren Urteile unreflektiert.“ Im Internet musste Waschow kübelweise Anfeindungen aus der rechtsradikalen Ecke über sich ergehen lassen. Doch das Lachen der Kinder und ihre strahlenden Gesichter. Das ist die Belohnung. Lehrer sein, Rektor werden. „Ich würde das jederzeit wieder machen. Als er sich in der großen Pause für ein Foto auf den Schulhof begibt, drängen die Kinder herbei, und ein Dreikäsehoch sagt ganz ohne Scheu: „Herr Waschow – tauschst du Fußball-Bilder mit mir?“